Kontrolle ist gut, Sicherheit ist besser


Niemand in Deutschland will einen Überwachungsstaat, hat der derzeit amtierende Innenminister Schäuble 2007 in einem Deutschlandradio-Interview versichert. Das klingt verdächtig nach Ulbrichts Diktum “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten”, und daher ist Misstrauen angebracht. Innenminister kann zudem mit IM abgekürzt werden – eine Steilvorlage für jede Paranoikerin. Bernadette weist seit einem knappen Jahr Wahn-Symptome auf, sie hört Stimmen. Genauer gesagt eine einzige Stimme: Die des derzeit amtierenden Innenministers, der ihr seine politische Ansicht nahe bringen möchte – Sicherheit, Sicherheit über alles.

Bernadette La Hengst und Till Müller-Klug haben für “Der innere Innenminister” O-Töne von Schäuble zu spritzigen Audiocollagen zusammengeschnitten. Von einer neuen Polittechnologie ist die Rede, mit der die Bundesrepublik flächendeckend vor böser Bedrohung gesichert werden soll. “Zwischen innerer und innerster Sicherheit darf nicht unterschieden werden”, verkündet die Stimme im Ohr von Bernadette und ihrem Publikum. Vielleicht ist der innere Schäuble gar keine akustische Halluzination, sondern ein Pilotmodell, “Der innere Innenminister 2.0”, und unbemerkt bereits im Innersten der Persönlichkeit im Einsatz?

Was reimt sich auf Sozialstaat?

Niemand ist sicher vor dem inneren Innenminister. Und schon gar nicht vor dem äußeren Innenminister, denn als der eigentliche Paranoiker im verbalen Spiel um Freiheit und Sicherheit entlarvt sich Wolfgang S. Mit Bernadette La Hengst, ausgewiesen linksengagierte Musikerin, Performerin und Theaterautorin, hat er sich eine ernstzunehmende, rechtsruckresistente Dialogpartnerin gesucht. In der Therapie- und Forschungsgruppe “Stimmenhören respektieren” lernt sie unter der fachlichen Anleitung von Claudia Wiedemer, die Stimme so in ihr Innenleben zu integrieren, dass sie weitgehend unbeeinträchtigt ihren prekären, aber selbstbestimmten künstlerischen Tätigkeiten nachgehen kann.

Die geschliffene Politrhetorik des Amtsinhabers lässt sich sogar kreativ nutzen: “Was reimt sich auf Sozialstaat?”, fragt La Hengst, die an ihrem neuesten Song frickelt. “Arbeitsmarkt.” – “Etwas mit mehr innerer Sicherheit”. Pause. “Polizeistaat”. “Super, mit Ihnen mache ich öfter Musik”, freut sich La Hengst und textet mit Schäubles Hilfe einen Protestsong. “Kontrolle über Kontrolle” badensert der Innenminister in seinem “südländischen” Dialekt; “wir kontrollieren die Kontrolle des Staates” folgert die Songwriterin. Ist er letztlich doch kooperativ und für etwas gut, dieser aufdringliche innere IM!

Passgenaue Dialoge

Die radioerprobten Dialoge zwischen La Hengst und Schäuble – “Der innere Innenminister” wurde im Jahr 2008 als Hörspiel vom WDR ausgestrahlt – sind passgenau geschnitten und wirklich irre komisch. Als künstlerischer Kommentar auf die paranoide Sicherheitspolitik nach 9/11 wirken sie zugleich zutiefst abgründig. Für ihre Projektidee haben La Hengst und Müller-Klug den Bremer Autoren- und Produzentenpreis 2008 erhalten.

Die theatrale Uraufführung ist eine Mischung aus Hörspiel, Performance und Konzert. Claudia Wiedemer, als Solistin in Anja Gronaus “Trilogie der klassischen Mädchen” zu einem Aushängeschild der Berliner Freien Szene avanciert, managt als toughe Therapeutin das Bühnengeschehen, bis sie selbst die Stimme der britischen Innenministerin hört. “Europa sicher leben”, Schäubles Programm für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007, vervielfacht die internen Kontrollinstanzen.

Freiheit statt Freizeit

Einen cleveren Streich spielen Müller-Klug und La Hengst dem passiven Publikum, das die Selbsthilfegruppe darstellt und nicht um seinen Lerneffekt gebracht werden soll. Am Eingang war man gebeten worden, von einem Blatt Papier ein einzelnes Wort abzulesen und in ein Diktiergerät zu sprechen. “Ich” sage ich und suche mir einen Platz im Stuhlhalbkreis. Als die Aufnahme zum Stückende abgespielt wird, höre ich, dass “ich” mich mit meiner vorläufigen Entmündigung einverstanden erklärt habe.

Wie schön, keine Verantwortung mehr, nicht mehr Rechenschaft ablegen müssen – wir können Tag und Nacht tanzen, suggerieren unsere Tonbandstimmen. Doch das bekommen wir nicht durch bei Claudia und Bernadette, die im Abschlusssong weniger Freizeit und mehr selbst verantwortete Freiheit fordern. “Sensationell”, muss da sogar IM Schäuble zugeben, “ich fand’s ganz toll” – “Applaus, Applaus”. Den gibt es reichlich. Nicht nur für die Volte zum Schluss, sondern für durchgängig unterhaltsames engagiertes Theater.