Die Stimme im Kopf


Stimmen hört im Theater jeder. Die Frage ist nur: Wo kommen sie her? Im Fall der Sängerin und Performerin Bernadette La Hengst ist die Sache klar. In ihrem Kopf hat sich der amtierende Innenminister eingenistet. Aufdringlich, altklug und schwäbelnd wie üblich ist die Stimme plötzlich da, mitten in La Hengsts Hirn und Leben: “Die neuartigen Strukturen bedeuten Veränderungen für viele von uns.” Ist das der totale Überwachungsstaat?

Als Hörspiel angelegt, bringen Bernadette La Hengst und der Autor und Poetry-Slammer Till Müller-Klug ihr Stück “Der innere Innenminister” nun auf die Bühne. Für das Konzept haben sie 2008 den Bremer Autorenpreis bekommen, in den Sophiensælen wird die musikalische Hörspiel-Live-Performance heute uraufgeführt. Im Stuhlkreis einer Therapiegruppe für akustische Halluzinationen findet sich das Publikum hier irgendwo zwischen Wahn und Wirklichkeit wieder – auf dass wir alle unsere Stimmen im Kopf hören.

Vorerst ist es nur die der leicht perfiden Plaudertasche Wolfgang Schäuble. Aus Reden und Interviews ausgeschnitten und zu schnellen Dialogen montiert, befindet sich der Minister im neugierigen Zwiegespräch mit La Hengst – über die Neuorganisation der Bundespolizei etwa oder auch mal über guten Rotwein. Während seine Stimme aus dem Off kommt, spielt La Hengst sich selbst. Und es ist nicht abzustreiten: Die beiden bleiben zwar beim Sie, entwickeln aber doch eine gewisse Vertrautheit. Schließlich rät auch die von La Hengst aufgesuchte Psychologin (Claudia Wiedemer), eine Beziehung zu der Stimme aufzubauen, um mit dieser Form des Lauschangriffs fertig zu werden.

Man könnte dem gesampelten Minister fast Sinn für Humor unterstellen -aber die abgründige Komik des Stücks geht doch eher auf das Konto La Hengst/Müller-Klug. Die selbsternannte Multifunktionsmachinette und der Wortakrobat arbeiten zum dritten Mal zusammen und loten diesmal die sicherheitspolitische Realität in Land und Leben aus. Dabei ist es eigentlich ein ganz charmanter Gedanke, Schäuble sei nur ein paranoide Wahnvorstellung. Was genau der Minitrojaner jedoch vorhat, bleibt sein Geheimnis. Will er wissen, was die Gegenseite so plant? Oder sich als Freund und Helfer inszenieren? Seine Methoden jedenfalls sind klar: Er mischt sich in Dinge ein, aus denen er sich besser heraushalten sollte, und kommentiert ungerührt, was ihn nichts angeht – ganz wie im wirklichen Leben. Die absurdesten Momente des Stücks gehören ihm, etwa wenn er sein Vorgehen rechtfertigt, indem er erklärt, schon die Rauchzeichen von Indianern seien ausspioniert worden. Wer war hier noch mal wahnsinnig?

Aber nicht nur in La Hengsts Kopf gehen seltsame Dinge vor, auch das Publikum muss Psychotests aushalten. Die Teilnehmer der Schizophrenie-Selbsthilfegruppe werden angeregt, auf ihr Inneres zu lauschen, sich mit psychischen Krankheiten auseinanderzusetzen und ihren ganz alltäglichen Irrsinn mit der Gruppe zu teilen.

Zum Glück gibt es Musik. La Hengst greift zur Gitarre und liefert den Beweis: Ihre Stimme ist schöner als die in ihrem Kopf. Nach ein paar Schmeicheleien darf der Minister zwar auch mal ran und schwingt sich im Team mit La Hengst zu realpolitischer Poesie auf – im Originalton, versteht sich. Gegen die entspannte Power von La Hengsts Beatpop kommt ein rappender Innenminister jedoch nicht an.

Langsam zweifelt nicht nur Bernadette La Hengst, sondern auch die Psychologin an ihrem Verstand, und schließlich hört sogar das Publikum eine ganze Kakophonie innerer Stimmen. Vielleicht sind die neuartigen Überwachungstechniken bereits in unseren Alltag vorgedrungen. Gerade noch Treffpunkt einer Therapiegruppe, könnten die Sophiensæle auch schon eine innenpolitische Versuchsanstalt sein. Sind wir nicht alle ein bißchen schizo?